Strassenjungs | de

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Die Strassenjungs sind eine Rockband aus Frankfurt am Main, die 1976 die erste deutschsprachige Punk-LP veröffentlicht hat. Weitere bedeutende Leistungen sind der Betrieb des eigenen Labels "Tritt" seit 1979 und die Veröffentlichung von Fußball-Stadionhymnen in den frühen 90er Jahren.

Bandbiografie

Die Gruppe wurde 1976 von dem Produzententeam Axel Klopprogge und Eckard Ziedrich als deutsche Antwort auf die Sex Pistols ins Leben gerufen. Klopprogge und Ziedrich hatten die beginnende Popularität der Gruppe in England verfolgt und wollten in Deutschland mit einem ähnlichen Produkt auf den Markt. Da man in Deutschland Punk nicht kannte, schrieben sie aggressive Rocklieder mit vermeintlich anstößigen Texten. Frühe deutsche Punkpioniere waren ebenfalls Big Balls & the Great White Idiot aus Hamburg und Pack aus München (um Jörg Evers, ex-Amon Düül).

Zur Einspielung von Liedern wie "Ich brauch meinen Suff (wie der Spießer den Puff)", "Nachts auf Tour" oder "Jet-Set Ficker" engagierten sie die Köpfe der 1975 aufgelösten Band Tiger B. Smith aus Bad Camberg: Holger Schmidt an Gesang und Gitarre und Karl Heinz Traut an Schlagzeug & Percussion, dazu Nils Selzer (ex-The Cheats, ex-Orgon) am Bass und Alexander Rodmann an der Gitarre. Zur Steigerung des Bürgerschreck-Image verlieh man den erfahrenen Musikern provokante Pseudonyme: Schmidt wurde Karl Kraftlos, Rodmann wurde Alexander Adrett, Traut wurde Willi Anstand und Selzer wurde Mario Nett.

Das Debüt-Album „Dauerlutscher“ wurde 1976 in dem eher für Krautrock bekannten Studio Panne-Paulsen in Frankfurt-Heddernheim aufgenommen. Als Vertragspartner wurde CBS (heute Sony) gefunden. Bei der Veröffentlichung verkaufte sich das Album jedoch nur schlecht. Die Single-Auskopplung „Birgit O.“ floppte ebenfalls. Eine Tournee im Vorprogramm der Labelkollegen The Clash brachte Achtungserfolge, jedoch nicht den erhofften kommerziellen Durchbruch. Promotion-Aktionen wie die Verteilung von Kondomen vor dem Kant-Kino in Berlin erregten Aufmerksamkeit, aber keinen Umsatz. Das Album sollte erst Jahre später Kult-Status erlangen.

Aufgrund der enttäuschenden Verkaufszahlen beendete CBS die Zusammenarbeit. Klopprogge und Ziedrich sahen das Experiment für gescheitert und lösten die Band auf, in der es ohnehin bereits zu musikalischen Differenzen gekommen war. Klopprogge trat kurz darauf als Texter und Produzent der NDW-Stars Markus und Wilfried in Erscheinung. 1985 sollte es nochmals zu einer Zusammenarbeit zwischen Holger Schmidt und Axel Klopprogge kommen, als Klopprogge Schmidt als Gitarristen zu der von ihm produzierten Rockband Tokyo holte.

Bassist Nils Selzer hatte jedoch das Potential des Bandkonzepts der Strassenjungs erkannt, übernahm die Namensrechte vom früheren Produzententeam und scharte neue Musiker um sich. Er nahm nun auch die Rolle des Komponisten und Texters ein und wechselte vom Bass an die Gitarre. Mit Harry Heinen, der über einen Aushang an der Goethe-Universität in Frankfurt gefunden worden war, an Gitarre & Gesang, Volker „Pickup“ Picard am Bass & Gesang und Martin Herbolzheimer am Schlagzeug nahm Selzer 1978 das Album „Wir ham ne Party“ auf. Zeitweilig spielte auch der spätere HR3-DJ Jörg Bombach Bass. Befreit von den Konventionen eines Major-Labels schuf Selzer ein zeitloses Album, das musikalisch wie textlich originell war: "Immer weiter geh'n" adaptierte er das ebenfalls von den Ramones gecoverte "Do you wanna dance" von den Beach Boys, "Wir ham ne Party" von Wanda Jacksons "Let's have a party", "Als sie mich küsste" von The Chrystals' "Then he kissed me".

Nach der negativen Erfahrung mit fremdem Management hatte Selzer sein eigenes Label Tritt Records gegründet, dessen Logo er einem Freak Brothers Comics von Robert Crumb entnahm. Vertriebsmäßig engagierte sich Selzer mit Embryo und Ton Steine Scherben im Schneeball-Vertrieb, einem Eigenvertrieb der Musiker, aus dem später Energie für alle (EfA) wurde.

"Wir ham ne Party" kann zu den Klassikern des deutschen Punk gezählt werden. Aufgrund der Eigenproduktion fiel das Album wesentlich authentischer aus als das Debütalbum. Durch stete Tourneen erspielte sich die Gruppe schnell einen guten Ruf als Liveband und kam vor allem beim jugendlichen Publikum gut an, wie die große Zahl von nationalen Fanclubs zeigte. Darüber hinaus engagierten sich die Strassenjungs - wie die Vertriebspartner Ton Steine Scherben - politisch, wie u.a. dem "Rock gegen Rechts"-Festival in Frankfurt.

Das nächste Studio-Album "Los!" 1981 war noch musikalisch ausgereifter und gilt als das beste Werk der Gruppe. Abermals wurde den Ramones Tribut gezollt. Aus "Here today, gone tomorrow" wurde "Einer ist immer der Arsch". Humor bewies die Band auch mit Cover-Versionen von Oldies („Let’s dance“ von Chris Montez hieß „Komm tanz“), satirischen Adaptionen von deutschem Volksliedgut („Hans K.“ gesungen von Volker Picard) und Schlagern („Adios Amigo“). Harry Heinen steuerte das Stück „Uniform“ bei, das engstirniges Lagerdenken von Punks, Hippies und Teds auf die Schippe nahm.

Im Herbst 1982 kam das Debüt-Album "Dauerlutscher" wegen der anstößigen Texte auf den Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. Die Indizierung (lt. BAnz. Nr. 170 vom 14. September 1982) brachte erneute Publicity. Im besonderen nahm die Bundesprüfstelle an den beiden Stücken "Nachts auf Tour" und "Ich brauch mein' Suff" Anstoß (Vorwurf des Aufrufes zum Verbrechen und zu übermäßigem Alkoholkonsum). Die Indizierung wurde am 31. August 2007 aufgehoben, da die Bundesprüfstelle den Inhalt des Albums nach Ablauf der 25-jährigen Indizierungsfrist nicht mehr als jugendgefährdend ansah.

Im Frühjahr 1983 wurde Live-LP "Live 83" aufgenommen, die die Konzerte der Band in ihrer musikalisch besten Besetzung dokumentierte. Die freie Zeit zwischen ihrem Band-Engagement nutzten Selzer wie Heinen in dieser Zeit auch für Solo-Alben. Ferner produzierte Selzer das Album der Frauenband Strapaze, in der auch seine damalige Freundin mitspielte, für das bandeigenen Tritt-Label.

Neben Ton Steine Scherben und Udo Lindenberg müssen die Strassenjungs zu den Pionieren des Deutschrocks gezählt werden. In Zeiten der Neuen Deutschen Welle schien die Zeit reif, abermals bei einem großen Label zu unterschreiben. 1984 erschien bei EMI das Album "Bleiben oder geh’n", auf dem Matthias Baumgardt anstelle von Harry Heinen Gitarre spielte. Für die ausgekoppelte Single „Hallo“ wurde ein Videoclip produziert. Das vergleichsweise poppige Album brachte nicht den erhofften Erfolg beim Mainstream-Publikum und die Verkaufszahlen blieben konstant, so dass das nächste Studio-Album "Sex" 1986 wieder auf Tritt Records erschien.

Das Album enttäuschte angesichts textlicher Platitüden und bewies, dass die Gruppe kreativ auf der Stelle trat. Die nachfolgenden Alben "Bombenstimmung" (1987) und "Gorby" (1989) waren musikalisch und textlich wieder ambitionierter, auch wenn offensichtlich wurde, dass die grosse Zeit der Gruppe vorbei war.

So zog sich Nils Selzer 1990 aus gesundheitlichen Gründen von der Bühne zurück und arbeitete, wie sein großes Vorbild Brian Wilson, vornehmlich im Studio. Live trat künftig Andi Mengler als Sänger auf. Mit Andi Mengler am Gesang, Michael Liebert an Gitarre, Torsten Dechert am Schlagzeug und "Pickup" am Bass brachte die Gruppe 1991 das Album "Duell" heraus und steuerte ein Lied zum Soundtrack des Filmes "Manta, Manta" bei. 1992 wurde mit dem damaligen Trainer von Eintracht Frankfurt, "Stepi" Stepanovic die Stadionhymne "Eintracht" aufgenommen, die große Bekanntheit unter Eintracht-Fans erreichte. Bei einem weiteren Fußballprojekt war die Band im Videoclip "Wir sind die Fans" gemeinsam mit Sepp Maier zu sehen und trat gegen Gewalt in Fußballstadien ein. Andi Mengler komponierte ferner die Stadionhymne "Forever OFC" für die Eintracht-Erzrivalen Kickers Offenbach.

Durch die anhaltende Popularität der Gruppe und insbesondere des indzierten Debüt-Albums veröffentlichte die ehemalige Plattenfirma CBS Records (nun Sony) 1993 sie erstmalig auf CD. Die Besetztung änderte sich 1996 erneut: Manni Masal ersetzte Michael Liebert als Gitarrist und René Detroy (ex-Hands on the Wheel) trommelte nun anstelle von Dechert.

1997 erschien ein weiteres Studio-Album "Tut gut". 1999 stieg Andi Mengler aus und überließ Bassist Volker "Pickup" Picard den Posten des Sängers, so dass die Gruppe erstmalig als Trio live auftrat. 2003 bekam die Gruppe die langverdiente Anerkennung durch den WDR-Rockpalast, als ein Konzert im Kölner Club "Underground" wieder mit Selzer am Gesang aufgezeichnet wurde.

Der Einfluss der Gruppe auf die deutsche Rock- bzw. Punkrock-Szene ist immens. Erfolge von Gruppen, wie u.a. Die Toten Hosen, Die Ärzte, wären ohne die Strassenjungs nicht denkbar. .

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