Bauchklang | de

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Bauchklang machen Clubmusik nur mit Stimmen. Sie setzen dem stets eins drauf: eine »vocal
groove machine«, die mit dem ältesten Instrument – der Stimme – die Elektronikmusik in die
Zukunft beamt. Eine Standortbestimmung anlässlich der Veröffentlichung ihrer aktuellen, von
Patrick Pulsinger produzierten EP Ray und der Gründung ihres Labels Bauchklang Records.

Einigen wir uns als erste Fährte darauf, dass das österreichische Quintett Bauchklang eine
Beatboxing-Band ist. Beatboxing entstand in den frühen 1980er Jahren aus dem HipHop. Mittels
Stimme, Zwerchfell, Bauch und Mund wurden Sounds von Synthesizern, Drum-Maschinen oder
dem Scratching des DJs nachgebildet. Beatboxing ist kein Sprechgesang wie beim Rapping,
sondern eine perkussive, lautmalerische und rhythmische Verkettung von Geräuschen.
Für das Beatboxing lassen sich Einflüsse aus dem Scat-Gesang oder dem Doo Wop ausmachen.
Stile, die auf den afroamerikanischen Gospels und Spirituals aufbauen. Noch weiter zurück in
dieser Linie stellt A cappella nicht nur eine jahrhundertealte Gesangskunst, sondern auch eine
Kommunikationsform dar. So informierte schon in Urzeiten das Imitieren von Geräuschen als eine
Erweiterung des Gesangs und als akustischer »Morsecode« die Zuhörer darüber, ob Gefahr in
Verzug war (Tierlaute, Trommeln eines feindlichen Stammes) oder ob man tanzend mit den Hüften wackeln konnte.
Aus diesen rhythmisierten Geräuschen der Orientierung, des Überlebenskampfs und des Feierns
entwickelte sich vor dem Hintergrund urbaner Klang- und Musikerfahrungen Beatboxing zu einer
der rudimentärsten und gleichzeitig geschichtsmächtigsten Richtungen von Popmusik. Dein Körper
ist dein einziges Instrument.


Stimmen stimmen

Anders als im A cappella oder selbst beim Beatboxing, geht es bei Bauchklang nicht um ein
Vokalensemble oder ein möglicht akkurates auditives Abbild von geräuschhaften Prozessen. Und
schon gar nicht um das Nachstellen von Hit-Nummern. Es ist Tanzmusik, die statt in gesungenen
Liedern in elektronischen Tracks organisiert ist. Ihre Synthesizer und Sequencer sind ihr Bauch.
Groove in seiner reinsten Form als archaische Stimmartikulation, Bauchklang als eine menschliche
Rhythmusmaschine.
Ihre »Consciousness« destilliert sich über ähnliche formale Strukturen wie in der
afroamerikanischen Call-and-Response- oder Spoken-Word-Tradition (Last Poets, Gil Scott-
Heron, Saul Williams, …). Einen diesbezüglich lang gehegten Wunsch erfüllte sich die Band, als
sie 2010 für die Nummer Toil In The Field (auf der CD Signs; Monkey) mit der amerikanischen
Spoken-Word-Ikone Ursula Rucker gemeinsame Sache machten.
Nach bandinternen Umbesetzungen sind Bauchklang seit 2006 Bina, Alex Böck, Andreas Fränzl,
Gerald Huber und Philipp Sageder. Veröffentlicht wurde bei so renommierten Labels wie Klein
Rec., Monkey Music oder Ecco.Chamber. 2011 kam als Vorbote für eine Richtungsänderung die
EP Le Mans im Eigenverlag heraus und mit Ray wird nun das eigene Label Bauchklang Records
aus der Taufe gehoben. Eine mehr als passende Entscheidung, schließlich waren Bauchklang seit
jeher für ihre Eigenständigkeit »berüchtigt« und mit dem eigenen Label lassen sich kreative
Unvorhersehbarkeiten präziser vorantreiben.


Groove-Allianzen

Als sich 1995 Bauchklang in St. Pölten gründeten, war Beatboxing in Österreich weitgehend
unbekannt und A cappella alles andere als funky und sexy. Gleichzeitig war elektronische
Tanzmusik als Techno dabei, groß zu werden und sich in viele Subgenres aufzusplitten.
Bauchklang setzten sich zwischen alle Stühle, indem sie nicht nur Beatboxing für Österreich
aktivierten sondern es darüber hinaus auf ein aktuelles Level aus Dub, Downbeat, Dancehall,
Techno, Electro und elektronischem Funk hievten. Das Experiment, archaische Stimmakrobatik
mit Clubmusik kurzzuschließen, wurde zum Markenzeichen der Band.
Folgerichtig fand ihr erster größerer Auftritt 2000 im Wiener Club Flex statt. »Wir haben ein 20-
Minuten-Set zwischen zwei DJ-Blöcken gespielt, weil wir testen wollten, wie gesungene Drums,
Beats und Beatbox vom Druck her neben elektronischer Musik bestehen«, erinnert sich
Gründungsmitglied Andreas Fränzl aka Lichtfels.
Der Testlauf war erfolgreich, ein Jahr später erschien ihr Debüt Jam Zero, das mit dem Amadeus-
Preis ausgezeichnet wurde. Für FM4 waren Bauchklang der »beste Alternative Act« und Jam Zero
die Platte des Jahres. Die daraus ausgekoppelte Single Don’t Ask Me lief in Heavy Rotation bei
FM4 und besonders bei französischen Radiostationen. Noch im selben Jahr spielten Bauchklang
auf dem Festival Transmusicales in Rennes. 2002 wurde das Jazz Festival in Montréal bespielt.
2009 füllten sie dreimal hintereinander den Club Blue Frog in Mumbai und bekamen eine
Auszeichnung für das beste Konzert eines ausländischen Acts in Indien. »Einige ältere
Konzertbesucher haben gemeint, dass sie so etwas noch nie gehört haben und elektronische Musik
an sich ablehnen. Getanzt haben sie trotzdem wie wild«, so Fränzl.
Indem sie rituelle Stammesgesänge zu onomatopoetischen Rhythmussequenzen der Clubmusik
»elektronifizieren«, erweisen sich Bauchklang als integrative Brücke zwischen den Generationen
und sprechen ein höchst heterogenes Publikum an. Bauchklang ziehen hyperverkörperlichte
Plateaus auf, bei denen Technologiediskurse von elektronischer Musik in einem globalen Groove-
Verständnis aufgehen. Man höre sich auf Live in Mumbai die Sessions mit Vivek Rajagopalan und
mit Shilpa Rao an: Wahnwitzige Rhythmusverschiebungen, halsbrecherisches Tempo, ein
vokalakrobatisches Fest zwischen den Kulturen.
Wie es sich für Beatboxing-Shows gehört, stellen Bauchklang für mehrere Nummern die Bühne für
Live-Kollaborationen und »open mic« zur Verfügung. Ende 2011, bei einem »Heimspiel« im St.
Pöltner Festspielhaus, traten u.a. die Sängerin Marie Daulne von Zap Mama, die türkisch-
österreichischen Beatboxing-Geschwister EsRaP& Enes und die Theremin-Spielerin Pamelia
Kurstin auf.
Bauchklang waren und sind eine dezidierte Live-Band. Ihre Sommerkalender sind in den letzten
zehn Jahren praktisch komplett mit Festivalauftritten ausgebucht, ob nun das Sunbeat nahe dem
israelischen Haifa, das Fusion bei Rostock, das Tomorrow in Zwentendorf, die Ladakh Confluence
im Himalaja, das Printemps Musicals in Luxemburg oder die Olympischen Jugendspiele in
Innsbruck. Doch erst 2009 fand sich mit dem Engagement im Blue Frog die Möglichkeit, einen
Live-Mitschnitt auf CD zu bannen, die als Live in Mumbai bei Monkey erschien. Damit wurde
eingelöst, was sich Bauchklang-Fans schon lange gewünscht hatten.
Eine Live-CD erst da, weil es eine »der schwierigsten Aufgaben ist, eine gute Live-Platte zu
machen«, wie Patrick Pulsinger feststellt. Pulsinger war es, der als Produzent für die aktuelle EP
Ray ins Boot geholt wurde. Ein konsequenter Schritt, denn Bauchklang hatten sich in den letzten
Jahren kontinuierlich in Richtung Clubmusik bewegt, offensichtliche Traditionslinien zwischen
Gospel und HipHop wurden durch Minimal Techno, Electronica französischer Provenienz wie bei
Justice oder durch abstrakt-ambienthafte Soundlandschaften erweitert. So klingt Le Mans bei
erstem Hinhören noch am ehesten nach einer TechHouse-Maxi. Mit Ray wurde dieser Weg
ausgefeilter, vielschichtiger.


Das Live-Konzert im Studio: Ray

Obwohl natürlich nie Elektronik, hören sich Bauchklang an, als wären sie Elektronik. Ein
Verwirrspiel, das mit Ray als Material und mit Pulsinger als österreichischen Elektronikmusik-
Mastermind seinen Höhepunkt ansteuert. Aufgenommen in seinem Wiener Feedback-Studio, war
für Pulsinger Ray »das Gegenteil einer Elektronikmusikproduktion. Man hat es audio- und
aufnahmetechnisch mit komplett anderen Zugängen oder Fragestellungen zu tun, wenn man nicht
mit Instrumenten, sondern nur Stimmen arbeitet.« Für die für ihre druckvolle Bühnenpräsenz
geschätzte Band war es Fränzl zufolge »bisher schwierig, die Energie einer Bauchklang-Show in
ein Studio zu bringen.« Dies mag erklären, warum Bauchklang ein vergleichsweise überschaubares
Output mit bisher vier Alben und sieben EPs aufweisen.
Dieser Themenstellung wurde für nun Ray entsprochen, wenn Pulsinger meint: »Man stelle sich
ein Live-Konzert von Bauchklang vor, das in ein Studio transferiert wurde. Es wurde in einem
gemeinsamen Performance-Kontext aufgenommen, was dem Elektronikgedanken mit einzelnen
Spuren und kleinteiligen Versatzstücken ja eher entgegensteht.«
Die Nummer Change auf Ray steht dafür beinahe prototypisch: Ein Roboter-Disco-Outfit in der
Manier von Giorgio Moroder mit minimalsten Dub-Effekten und treibenden Bass-Beats. Die von
Bauchklang-Tontechniker Bernhard Schedelberger produzierte Nummer Morgenluft schraubt sich
in atmosphärisch dichte Dub-Klangwolken, Tracks von Basic Channel oder Rhythm& Sound
schielen um die Ecke. In der Titelnummer der EP fassen Bauchklang ihre Beatboxing-Qualitäten
zusammen: eingängige Melodieführung, perkussive Maschinen-Sounds, verschachtelte
Rhythmuskomplexe, die schweißtreibend ständig in- und auseinanderfallen.
Ray ist wahrscheinlich eine der ersten »Techno«-Produktionen, die wie bei einer klassischen Band
eingespielt wurde. Keine Loops oder Samples, dafür eine Aufnahmesituation, in der »über weite
Strecken die Basictracks gemeinsam entstanden sind. Teils gab es von der Band an mich sehr
genaue Konzepte, wie das Arrangement auszusehen hat, teils wurde improvisiert. Oft lief einfach
nur das Band mit. Wir haben auf Analogband aufgenommen, was für Stimmaufnahmen sehr
vorteilhaft ist.«
Eine weitere Ebene des Bauchklang-Verwirrspiels, wenn eine A cappella-Band wie Elektronik
klingt und der Produktionsprozess dafür genau nicht Elektronik war. Somit bedeutet Ray eine
Grenzüberschreitung, die weit mehr ist als die Faszination darüber, was man mit der Stimme alles
anstellen kann. Ray, dieser Hybrid aus uralten vokalen Geräuschstrukturen und modernem
Sounddesign, bringt die Band immer weiter in eine Richtung, in der Mensch und Maschine immer
mehr miteinander verschmelzen: eben »vocal groove machine«.

Text: Heinrich Deisl (skug – Journal für Musik)

Bandmitglieder:

Bina: Human Beatbox, Mouthpercussion, Vocal Sounds
Alex Boeck: Human Bass, Vocal Sounds
Andreas Fränzl: Lead Vocals, Vocal Sounds
Gerald Huber: Vocal Sounds, Human Beatbox, Human Bass, Backing Vocals
Philipp Sageder: Vocal Sounds, Mouth Percussion, Backing Vocals

Auszeichnungen:

* 2001: Youngster of Arts Europe
* 2002: 2 Amadeus Awards in der Kategorie FM4 Alternative Act des Jahres und Band Rock/Pop national
* 2008: Indiecision for Best Live-Band International (Indien)
* 2010: 2 Amadeus Awards für "Best Live Act" und "Alternative"
* 2011: Kulturpreis des Landes Niederösterreich in der Kategorie Musik

Diskografie

* 2001 - Jamzero
* 2001 - Don'T Ask Me (Maxi)
* 2005 - Don'T Step (EP-CD/Vinyl)
* 2005 - Many People
* 2006 - Rhythm Of Time / Barking News (EP-Vinyl)
* 2009 - Live In Mumbai
* 2010 - Signs
* 2011 - Le Mans (EP-Vinyl)
* 2012 - Ray (EP)
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